Donnerstag, 22. September, 2022

Hohe Inflation – Gekommen um zu bleiben?

von André Steiner, Leiter der IAF-Geschäftsstelle West- und Südschweiz, Geschäftsführer Mendo

Aktuelle Situation

Es ist allgemein bekannt und gleichzeitig eine Entwicklung, die viele Menschen in der Schweiz im eigenen Portemonnaie noch nie oder schon sehr lange nicht mehr gespürt haben: Die Preise haben deutlich angezogen und es scheint kein Ende zu nehmen. Wir müssen in der Schweiz 30 Jahre zurückgehen, um ähnliche Teuerungsraten zu finden.
Die letzte publizierte Inflationsrate lag für die Schweiz bei 3,5% (Jahresteuerung im Vergleich zum Vorjahresmonat). Damit liegt die aktuelle Jahresteuerung klar über dem langjährigen Durchschnitt, welcher in der Schweiz bei knapp 2% liegt. Die Durchschnittsteuerung betrug in der Schweiz von 1926 bis 2021 1,93%.
In einer deutlich schlechteren Situation befinden sich aktuell die USA (mit einer Jahresteuerung von zuletzt 8,3%) und die EU (mit 9,1%). Die Schweiz ist also im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften bisher noch glimpflich davongekommen, hauptsächlich wegen des starken Schweizerfrankens, aber auch begründet durch unterschiedliche Berechnungsmethoden.

Was war der Auslöser für die Inflationsentwicklung?
Die Coronapandemie und der Krieg in der Ukraine sind die massgeblichen Auslöser des aktuellen Teuerungsschubs. Die Rohstoffpreise steigen kontinuierlich, was sich in höheren Energie- und Nahrungsmittelpreisen bemerkbar macht. Die momentane Energiekrise mit volatilen und stark steigenden Strompreisen verschärft die Lage weiter. Allerdings dürften die genannten Faktoren lediglich temporärer Natur sein. So sanken beispielsweise die Preise für Rohöl bereits wieder. Aus dieser Warte liesse sich von einem zwischenzeitlichen Teuerungsdruck ausgehen, der bald abflachen sollte. Davon gingen bis vor Kurzem die Notenbanken und auch die meisten Ökonomen aus. Mittlerweile zeigt sich aber, dass die Lage komplizierter zu sein scheint. Die Inflationsraten steigen weiterhin. Es sieht danach aus, dass die Notenbanken die Situation unterschätzt haben.
Viele Ökonomen vertreten die Meinung, dass Inflation ein «Geldproblem» ist. Pumpen die Notenbanken zu viel Geld in die Märkte (Zunahme der Geldmengen und/oder Beschleunigung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes), so führt das über kurz oder lang zu steigenden Preisen. Vor dem Hintergrund der riesigen Geldmengen, welche die Notenbanken im Zuge der Finanzkrise 2008 geschaffen haben, warnen Ökonomen schon lange vor den Konsequenzen dieser expansiven Geldpolitik. Dennoch blieben die Inflationsraten lange noch tief, waren teils sogar negativ. Allerdings gab es bereits eine Teuerung, nur wurde diese nicht in den Konsumentenpreisen abgebildet (und hier wird die Inflation eines Landes gemessen), sondern in den Vermögenswerten. Die Preisentwicklung betraf hauptsächlich Aktien, Obligationen und Immobilien. Diesmal hat es auch die Konsumentenpreise «erwischt».

Reaktionen der Zentralbanken
Während die Zentralbanken in den USA und in England stark auf die Inflationsentwicklung reagiert und ihre Leitzinsen erhöht haben, reagierte die Europäische Zentralbank bisher erst zögerlich auf die Inflationsentwicklung; bei einer Inflationsrate von 9,1% liegen die Leitzinsen mit Raten zwischen 0,75% und 1,25% weit darunter.
Solange die Teuerung «nur» auf Angebotsschocks zurückgeht, ist ihr Einfluss noch gering und der Kostenschub zeitlich begrenzt. Nun aber drohen weitere Faktoren, die Inflationsraten nachhaltig zu beeinflussen. Je länger je mehr ist ein Aufwärtsdruck auf die Löhne feststellbar, auch aufgrund des markanten Fachkräftemangels. Steigende Löhne führen zu höheren Produktionskosten, die Preise steigen, was wiederum die Forderung nach weiteren Lohnerhöhungen befeuert. Diese «Lohn-Preis-Spirale» müssen die Zentralbanken bekämpfen, um nicht – wie in den 1970er-Jahren – in einen jahrelangen Kampf gegen die Teuerung zu gelangen. Nebst der Straffung der Leitzinsen wurden die Programme zum Kauf von Wertschriften durch die Notenbanken diesseits und jenseits des Atlantiks gestoppt. Die Notenbanken werden wohl nicht darum herumkommen, die Leitzinsen weiter anzuheben – insbesondere in Europa.

Werden die Inflationsraten weiter hoch bleiben?
Niemand kann diese Frage wirklich beantworten. Es scheint aber, dass die Inflation sich immer mehr einnistet und die hohen Teuerungsraten nicht so schnell verschwinden werden. Auch in der Schweiz, wo die Inflation anhand des «Landesindex der Konsumentenpreise» ermittelt wird. Dabei wird die Preisentwicklung diverser Ausgabepositionen beobachtet und indexiert. Die wichtigsten Ausgabenpositionen (Top-4 der Gewichtung) sind Wohnen und Energie, Gesundheitspflege, Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke sowie Verkehr. Insbesondere die Position Wohnen und Energie erfährt derzeit und wohl auch in näherer Zukunft einen massiven Teuerungsschub.

Wie soll man sein Geld in Zeiten der Inflation anlegen?
Bargeld, Kontoguthaben und auch Geldmarktanlagen verlieren in diesem Umfeld kontinuierlich an realem Wert. Aber auch für Obligationenanlagen ist das Umfeld ausgesprochen schlecht. Steigen die Zinsen, so verlieren bestehende Obligationen an Wert (sinkende Börsenkurse). Je länger die Laufzeit einer Obligation ist, desto stärker wird der Kursrückgang ausfallen. So ist beispielsweise der SBI AAA-BBB T seit Jahresbeginn um über 10% gefallen. Dieser von der SIX Swiss Exchange geführte Index misst die Börsenentwicklung der in der Schweiz kotierten Obligationen mit guten Ratings. Obligationen mit langer Laufzeit haben sogar noch mehr an Wert verloren.
Das wird so bleiben. Solange die Teuerung hoch bleibt und die Zinsen steigen, werden die Obligationenrenditen negativ ausfallen. Und da die aktuellen Zinssätze massiv tiefer liegen als die aktuellen Inflationsraten, muss wohl von weiter steigenden Zinsen ausgegangen werden.
In den Schulbüchern heisst es, man soll in Zeiten wie diesen in Sachwerte investieren. Aktien drängen sich auf, allerdings ist beispielsweise der SPI zuletzt auch um über 15% abgesackt. Die Aussichten bleiben für Aktienanlagen volatil, insbesondere da die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in Europa steigt. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern haben Wohnliegenschaften in der Schweiz trotz einer sehr hohen Bewertung noch keine negativen Wertkorrekturen erfahren.
Aber auch Aktien dürften längerfristig ihre Stärken ausspielen, insbesondere von Unternehmen, die eine hohe Preissetzungsmacht haben und gute Gewinnaussichten haben.

Die Folgen auf die Pensionsplanung
Die heutigen und künftigen Rentner erhalten einerseits eine Altersrente aus der AHV. Bei dieser ist ein gesetzlicher Ausgleich der Teuerung vorgesehen (allgemeine Anpassung an die Teuerung und Lohnentwicklung). Höhere Teuerungsraten führen so zu höheren AHV-Altersrenten. Der Ausgleich erfolgt alle zwei Jahre. Liegt die Jahresteuerung über 4% so ist eine jährliche Anpassung gesetzlich vorgesehen (AHVG Art. 33).
Anders die Situation bei den Altersrenten aus der Pensionskasse: Das BVG sieht keine gesetzliche Anpassung der Teuerung auf Altersrenten vor. Damit nimmt die Kaufkraft der Renten ab. Je höher die Inflation, desto stärker wirkt sich dies auf die Renten aus. Dabei sind jene mit höheren Erwerbseinkommen stärker davon betroffen, da bei ihnen die Leistungen aus der Pensionskasse in der Regel stärker ins Gewicht fallen (je höher der Lohn, desto höher die Altersleistung aus der Pensionskasse). Und Pensionierte, die sich einen Teil oder das ganze Alterskapital auszahlen lassen, müssen zudem ihr Vermögen laufend vor der Entwertung schützen.
In einer Pensionsplanung ist das neue Teuerungsumfeld unbedingt zu berücksichtigen, denn der Kaufkraftverlust von Renten und Kapital wirkt sich mit der Zeit deutlich auf den Lebensstandard aus. Daher empfiehlt es sich in Pensionsplanungen mit einer durchschnittlichen Jahresteuerung von 2% oder mehr zu kalkulieren.